Freitag, 20. März 2009

FREIGELD

Das Geld zum Diener des Menschen machen
In der Menschheitsgeschichte hat es immer wieder Versuche gegeben, Armut, Elend, Unterdrückung und Ausbeutung zu überwinden. Meist wurden nur die alten Machthaber beseitigt, nicht aber die Machtstrukturen. Es gibt nur wenige Ausnahmen, die teils mehr zufällig, teils bewußt gewollt, eine Befreiung des Menschen von seinen existentiellen Nöten bewirkten. Hierzu gehören das Hochmittelalter mit seiner Kultur- und Wirtschaftsblüte und die Selbsthilfe-Aktionen in den 20er und 30er Jahren unseres Jahrhunderts. Sie können uns als Vorbild dienen für einen Ausweg aus den derzeitigen Krisen wie Hunger, Elend und Verschuldung in den Entwicklungsländern und Arbeitslosigkeit und zunehmende Armut in den Industrieländern.

Die beispiellose Kultur- und Wirtschaftsblüte im Hochmittelalter

In den letzten 2000 Jahren gab es kaum eine Zeit ohne Krisen, Kriege und Katastrophen. Eine bemerkenswerte und dennoch in den Geschichtsbüchern völlig unerwähnte Ausnahme stellt das Hochmittelalter dar. Kaum ein Zeitalter in der Menschheitsgeschichte war so von allgemeiner Lebensfreude, Kunstsinn und tiefer Religiosität geprägt. Während sonst das Mittelalter eher in den finstersten Farben gezeichnet wird, stellt die Zeit der Gotik von 1150 bis 1450 n.Chr. einen Lichtblick für die Menschheit dar. Noch heute können wir die gotischen Bauten und Kathedralen in ganz Europa bewundern. Die wirtschaftliche und kulturelle Leistungsfähigkeit der oft nur wenige tausend Einwohner zählenden Städte war erstaunlich. Im Gegensatz zu vorhergehenden und späteren Bauten wurden die weithin sichtbaren, innen wie außen kunstvoll geschmückten gotischen Kathedralen nur selten von reichen Fürsten errichtet. Vielmehr waren alle Bürger einer Stadt an ihrem Bau beteiligt. Nicht nur reiche Bürger, Patrizier und Kaufleute stifteten Geld, sondern auch Handwerksgilden und Zünfte, deren Mitglieder eher zu den unteren sozialen Schichten gehörten. Manches Kirchenfenster, wie z. B. im Freiburger Münster, zeigt noch heute das Wappenzeichen der Gilde oder Zunft, die es gespendet hat.

Trotz der enormen Leistungen lebte die einfache Bevölkerung keineswegs in Armut. Die Handwerksgesellen bekamen neben freier Kost und Logis meist ein reichliches Entgelt. Die Fürsten versuchten durch Gesetze den Höchstlohn festzulegen. In Kleiderordnungen wurden die Handwerksknechte ermahnt, weniger luxuriöse Kleider zu tragen. Durch die florierende Wirtschaft konnten sich die Menschen bessere Nahrung und Kleidung leisten. Die Wohnhäuser wurden großräumiger gebaut und reichlicher ausgestattet. Das Handwerk bekam "goldenen Boden" und überall gab es Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten. "Stadtluft macht frei" war ein Wahlspruch in dieser Zeit. Ein Leibeigener, der mindestens ein Jahr lang in der Stadt lebte, wurde von seinem Herrn frei. Die Einkommen stiegen in eine Höhe, daß viele nicht mehr wußten, was sie mit ihrem Überschuß an Geld anfangen sollten.

Zinsnehmen war durch eine päpstliche Bulle untersagt. Im Hochmittelalter gab es aber noch aus einem anderen Grund keinen Zins. Das Geld- und Bodensystem war anders gestaltet. Regelmäßige Geldverrufungen, bei denen alte Dünnpfennige gegen eine Prägesteuer von 10 -25% umgetauscht werden mußten, verhinderten eine Geldhortung und künstliche Verknappung des Geldes. Geld war damit stets ausreichend im Wirtschaftskreislauf vorhanden, so daß der Zins als Preis für das Leihen von Geld nicht entstehen konnte. Man spendete sein überzähliges Geld für religiöse, soziale und kulturelle Zwecke.

Der Boden gehörte überwiegend den Gemeinden und die Bodenpacht floß in die Gemeindekasse. Noch um die Jahrhundertwende konnten etwa 1.000 Gemeinden in Bayern allein aus den Erträgen der Allmende (gemeinsam genutzter Gemeindebesitz wie Wald, Wiesen und Felder) ihre Ausgaben bestreiten. Geld- und Bodenordnung sicherten in der Gotik einen funktionierenden Wirtschaftskreislauf.

Selbsthilfe-Aktionen in den 20er und 30er Jahren unseres Jahrhunderts

Als nach dem Börsenkrach von 1929 und der darauffolgenden Weltwirtschaftskrise weltweit die Arbeitslosenzahlen auf über 30 Millionen stiegen (1932 allein in Deutschland auf 6 Millionen), gab es in Europa und in den USA verschiedene Versuche, die Krise zu bewältigen. Aufsehen erregte das "Experiment von Wörgl". 1932 waren in der 4.200 Einwohner zählenden österreichischen Gemeinde Wörgl rund 400 Menschen arbeitslos. Die Gemeinde war hoch verschuldet und es fehlte an Geld für die Armenfürsorge. Mit der Wirtschaft ging es immer weiter bergab. Der Bürgermeister der Gemeinde wollte seinen notleidenden Gemeindemitgliedern helfen und studierte Karl Marx, fand aber keine rechte Lösung. Auch bei Pierre Joseph Proudhon konnte er keinen Hinweis finden, was er tun sollte. Da fiel ihm das Buch "Die Natürliche Wirtschaftsordnung (NWO)" des deutschen Kaufmanns Silvio Gesell (1863-1930) in die Hände. Hier fand er eine überzeugende Erklärung für die Wirtschaftskrise und konkrete Hinweise zu deren Überwindung.

Es wurde ein "Nothilfe-Programm'' beschlossen. Die Gemeinde gab ein eigenes Geld, sogenannte ,,Arbeitswertbestätigungsscheine" heraus, die auf offizielle Schilling lauteten. Mit diesem eigenen Geld konnte die Gemeinde Arbeitskräfte einstellen und öffentliche Vorhaben realisieren. Unter anderem wurde eine Brücke gebaut, ein Stadtteil kanalisiert und das Rathaus konnte renoviert werden. Die Arbeitskräfte wurden mit dem Wörgler Geld bezahlt und konnten damit in den Geschäften Lebensmittel, Kleidung usw. einkaufen. Die Geschäftsleute wiederum konnten ihre Steuern damit an die Gemeinde entrichten. So war der Geldkreislauf geschlossen. Durch eine monatliche Gebühr von 1% auf die Geldscheine war gesichert, daß niemand die Arbeitsbestätigungsscheine zurückhalten und den Kreislauf unterbrechen konnte. Die Gebühr wurde durch eine Marke, die auf die Scheine zu kleben war, bezahlt und kam dem Armenfonds zugute. Schon nach kurzer Zeit flossen die ausgegebenen Scheine in die Gemeindekasse zurück. Das Geld stand - dank der Umlaufsicherung - sofort wieder für neue Maßnahmen zur Verfügung.

Innerhalb eines Jahres sank die Arbeitslosigkeit in Wörgl um 25%, obwohl sie im gleichen Zeitraum in ganz Österreich um weitere 10% zunahm. Der Erfolg dieses Experiments wurde weit über Österreich hinaus bekannt. Die Praxis hatte die Theorie - langsam umlaufendes Geld erzeugt Wirtschaftskrisen, Massenarbeitslosigkeit und Elend - bewiesen. Trotz oder besser wegen seines Erfolges wurde das Experiment nach einem Jahr aus machtpolitischen Gründen verboten. Hätte es sich durchgesetzt, wären vermutlich der Nationalsozialismus und der 2. Weltkrieg verhindert worden.

Auch in Deutschland gab es erfolgreiche Selbsthilfe-Aktionen. 1429 war die Wära-Tauschgesellschaft gegründet worden zur Erleichterung des Waren- und Leistungsaustausches unter ihren Mitgliedern. Sie gab "Wära"-Tauschbons heraus, die den gleichen Wert hatten wie die damalige Reichsmark. Auch diese Tauschbons waren umlaufgesichert. Durch eine monatlich zu entrichtende Gebühr konnten sie von niemanden zurückgehalten werden. Mit Hilfe eines zinslosen "Wära-Kredits" konnte u.a. ein Kohlebergwerk in dem kleinen niederbayerischen Ort Schwanenkirchen wiedereröffnet werden. Das Kohlebergwerk war geschlossen worden, weil - ähnlich wie heute - die ausländische Kohle billiger war. Mitten in der Wirtschaftskrise konnten 60 Bergleute eingestellt werden. Sie wurden zu 90% in Wära entlohnt. Nach anfänglichem Zögern akzeptierten die örtlichen Geschäftsleute das ungewöhnliche Zahlungsmittel. Auch dieses Experiment war den Wegbereitern des Nationalsozialismus ein Dorn im Auge und wurde verboten. Sie brauchten die allgemeine Wirtschaftskrise, um die Massen auf den 2. Weltkrieg vorzubereiten.

"Neutrales Geld" Chance für eine umwelt- und menschengerechtere Wirtschaftsordnung

Die genialen Vorschläge von Silvio Gesell, "rostende Banknoten" zu schaffen und dem Geld Eigenschaften der Waren zu verleihen, wurden nur von wenigen Ökonomen wie Prof. Irving Fisher und John Maynards Keynes aufgegriffen. Keynes schrieb: "lch glaube, daß die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird." Autoren wie Yoshito Oani, Prof. Dieter Suhr, Helmut Creutz und Prof. Margrit Kennedy haben Gesells Forderungen in eine moderne Sprache übersetzt. Besonders bemerkenswert ist der Vorschlag des Rechtswissenschaftlers Prof. Suhr zur Schaffung eines "Neutralen Geldes", der ohne größeren Aufwand von den Banken verwirklicht werden kann. Die Bank führt dabei spezielle Girokonten, auf denen sie gegen eine prozentuale Gebühr Liquidität (Zahlungsmittel) zur Verfügung stellt. Die Liquidität besorgt sich die Bank auf dem üblichen Kreditmarkt. Mit der Liquiditätsgebühr deckt sie die laufenden Kreditkosten. Wer ein solches Girokonto eröffnet, bezahlt nur dann Gebühren, wenn er über Liquidität auf seinem Konto verfügt, entsprechend der Höhe seines Kontostandes. Die Teilnehmer in einem solchen System zahlen also keine Zinsen im üblichen Sinne, sondern nur Nutzungsgebühren. Geben sie ihre Liquidität weiter, müssen die neuen Nutzer die Liquiditätskosten bezahlen. Die Gebühr sorgt für schnellen Umlauf der Liquidität, so daß der Waren- und Leistungsaustausch unter den Teilnehmern erheblich gefördert wird - ohne die üblichen Kreditkosten und hohen Zinsen.

Eine weitere Möglichkeit, das Zinssystem zu umgehen, bieten Tauschsysteme. Seit über 50 Jahren gibt es in der Schweiz die WIR Wirtschaftsring-Genossenschaft, die zur gegenseitigen Förderung des Mittelstandes und zu dessen Schutz vor den Großkonzernen gegründet wurde. Bei der WIR- Verrechnung zirkuliert kein Geld. Einnahmen und Ausgaben der beteiligten Unternehmen werden lediglich über Konten gegeneinander aufgerechnet. Da kein Geld auf dem teuren Kreditmarkt besorgt werden muß, können Kredite innerhalb des WIR zu einem unwahrscheinlich niedrigen Zinssatz von nur 1 3/4% angeboten werden. In Deutschland und in anderen europäischen Ländern gibt es Barter- Organisationen, die ebenfalls eine Geld- und zinslose Verrechnung für Unternehmen anbieten. Schätzungsweise 30% des Welthandels werden über Tauschgeschäfte abgewickelt. Gerade für Entwicklungsländer bietet der Tauschhandel eine Chance, die Schulden- und Zinsproblematik zu umgehen. Modelle für zinslose Zahlungssysteme gibt es genug. Leider haben sie bisher zu wenig öffentliche Beachtung gefunden. Alternative Geldinstitute wie Ökobank und ECDS sollten das Thema aufgreifen. Ihre Kunden sollten die Einrichtung von speziellen Girokonten mit "neutralem Geld" fordern.

Die v. Bodelschwinghischen Anstalten Bethel geben seit Jahrzehnten eigenes "Bethel-Geld" heraus. Dadurch werden die eigenen Einrichtungen gefördert und Kapitalkosten können eingespart werden. Auch andere Organisationen sollten diese Idee aufgreifen. Selbsthilfegruppen können eigene Warengutscheine herausgeben. Z.B. können sich Bio-Landwirte, Naturkostläden, Geschäfte und kleinere Betriebe zusammenschließen und ein zinsloses Zahlungssystem mit Konten oder Gutscheinen einrichten. Auf diese Weise würden sich die Betriebe gegenseitig fördern. Dieses Prinzip ließe sich auch auf den Dritte-Welt-Handel ausdehnen. Nichts ist so schädlich wie einseitige Entwicklungshilfe. Durch sie wird jede eigenständige wirtschaftliche Entwicklung verhindert. Das Motto der Zukunft sollte besser lauten: "Hilfe zur gegenseitigen Hilfe!"

Um ein neues Bewußtsein zu schaffen, sollte jeder bei sich selbst in kleinen Schritten anfangen. Am leichtesten geht dies durch Spiel. Wie wäre es, einmal das "Monopoly"-Spiel hervorzuholen und die Spielbedingungen auf den Kopf zu stellen. Das Ziel soll nicht mehr sein, die anderen Spieler aus dem Feld zu schlagen, sondern sich gegenseitig zu fördern und zu unterstützen. Dazu soll der gesamte Besitz (an Geld und Straßen, ausgenommen die Häuser) einer Nutzungsgebühr unterstellt werden. Wer über "LOS" kommt, muß 1% Steuern auf seinen Besitz an die Kasse abführen. Für das verliehene Geld muß derjenige die Steuer entrichten, der das Geld gerade in Händen hält. Wer Geld verleiht, muß selbst dafür keine Steuern bezahlen. Die sonstigen Spielbedingungen bleiben unverändert. Wie anders werden sich die Spieler nun verhalten! War es bisher das Ziel, möglichst viel Geld und Güter anzuhäufen, wird sich jetzt jeder überlegen, wieviel er tatsächlich braucht. Denn je mehr er besitzt, um so mehr Steuern muß er bezahlen. Was er zuviel besitzt, wird er, um der einprozentigen Steuer zu entgehen, gerne an andere verleihen - zinslos versteht sich. Das Geld ist nicht mehr Herr, sondern Diener des Menschen.

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