Freitag, 20. März 2009

Faule Wertpapiere

Streng geheim: Faule Wertpapiere für 18,1 Billionen Euro bei westlichen Banken

17 Seiten umfasst ein als »streng geheim« eingestuftes internes Papier der EU-Kommision in Brüssel, in dem ungeschminkt die Wahrheit über die desolate Wirtschaftslage im Finanzsystem beschrieben wird. Danach gibt es derzeit bei europäischen Banken faule oder derzeit unverkäufliche Wertpapiere im Wert von 18,1 Billionen Euro. Nicht Milliarden, nein – Billionen. 44 Prozent aller Vermögenswerte europäischer Banken sind demnach derzeit »faul«. Seit Februar 2003 – also seit genau sechs Jahren – wusste die Bundesregierung schon um die wachsenden faulen Vermögenswerte und um die daraus resultierenden Risiken. Das ist für jeden per Mausklick einsehbar. Getan hat sie nichts.
Die EU-Staaten haben kein Geld mehr, um mit weiteren Bankenrettungs- und Konjunkturpaketen gegen die Rezession anzukämpfen. Ein EU-internes Dokument, dass einige wenige Beobachter in Brüssel einsehen durften, spricht von derzeit 18,1 Billionen Euro an faulen oder derzeit unverkäuflichen Wertpapieren und Vermögenswerten (»assets«) bei westlichen Banken. 44 Prozent der Vermögenswerte europäischer Banken seien derzeit »faul«. Zur Finanzierung des Rettungspaketes muss also ganz sicher schon bald weiteres Geld bereitgestellt werden. Auch der britische Daily Telegraph durfte das Dokument in Brüssel einsehen, verzichtete aber in späteren Ausgaben auf die Nennung der konkreten Zahlen, zu groß war der Schock für die Öffentlichkeit – die Lage ist demnach mehr als desaströs. Dabei hat der Telegraph offenkundig beim Löschen der Einzelheiten des Brüsseler Geheimpapiers nicht freiwillig gehandelt. In den ersten Ausgaben stand am 11. Februar 2009 noch: »The figures, contained in a secret European Commission paper, are startling. The dodgy financial packages are estimated to total £16.3 trillion in banks across the EU. The impaired assets may amount to an astonishing 44 per cent of EU bank balance sheets. It is a deep ditch the bankers, regulators and their friends in government have dug us into.«



16,3 Billionen Pfund – das sind 18,1 Billionen Euro. Offenkundig hat man großen Druck auf den Telegraph ausgeübt, die Zitate aus dem Geheimpapier mit den konkreten Zahlen ganz schnell wieder zu löschen. Allerdings hat man dabei bislang etwas übersehen: Ganz oben auf der entsprechenden Seite des Daily Telegraph (siehe Ausriss) steht im Browserfenster noch immer die ursprüngliche Überschrift des Artikels –»European banks may need 16.3 trillion bail-out, EC document warns«. Klicken Sie auf den Link und schauen Sie ganz oben links auf den Rand Ihres Browsers.



Die Staaten der Europäischen Union haben mit Hilfspaketen und Garantien im Gesamtwert von bislang 2,7 Billionen Euro ihre Volkswirtschaften vor dem Kollaps bewahrt – bislang. Künftig wird den Ländern der EU aber das Geld für Hilfsaktionen und für weitere Konjunkturpakete fehlen – und dann? London half der britischen Wirtschaft mit vielen Milliarden, auch Deutschland und Frankreich sprangen ein. Damit dürfte aber wohl bald Schluss sein. Nun ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis viele Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vor dem Hintergrund der gewaltigen Bestände an faulen oder unverkäuflichen Wertpapieren und Vermögenswerten ihren Bürgern mitteilen müssen, dass sie faktisch pleite sind. Der britische Telegraph nennt es britisch vornehm »Estimates of total expected asset write-downs suggest that the budgetary costs – actual and contingent – of asset relief could be very large both in absolute terms and relative to GDP in member states«.


Was kommt danach? Harald Schumann war fast 20 Jahre lang beim Spiegel, er ist ein investigativer Journalist. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Globalisierung, also mit einer vernetzten Welt, in der jeder vom anderen abhängig ist, in der Finanzmärkte kollabieren, die Weltwirtschaft bedroht ist – und in der es keine einfachen und keine nationalen Lösungen gibt. Er wurde vom Radiosender SWR zur aktuellen Wirtschaftslage interviewt – 27 Minuten lang. Das Interview können Sie hier hören – was steht uns demnach bald bevor? Schwere innere Unruhen, sagt der langjährige Spiegel-Redakteur Harald Schumann.



Unterdessen bereitet die EU die Erweiterung vor – so als ob nicht geschehen wäre. Kroatien, Serbien, Montenegro, Albanien, Bosnien-Herzegowina und Island werden nun als nächste Staaten in die Europäische Union aufgenommen. Sie haben eines gemein: Sie alle sind völlig bankrott. Die EU-Bürger haben eine glorreiche gemeinsame Zukunft: Sie dürfen möglicherweise künftig gemeinsam betteln gehen.


All das hat die frühere Berliner Regierung schon im Februar 2003 – also vor sechs Jahren geahnt. Im Februar 2003 gab es im Kanzleramt ein Spitzengespräch zwischen Bankenvertretern und der Bundesregierung über die wachsende Zahl fauler Kredite und über zukünftig angeschlagene Banken. Die Idee zur Gründung einer »bad bank« zur Rettung der Finanzwelt hatten damals Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundesfinanzminister Hans Eichel und führende Vertretern der deutschen Kreditwirtschaft angeschnitten. Nochmals – das war vor genau sechs Jahren. Nur bekannt werden sollte das auf keinen Fall. Sie glauben das nicht? Das Handelsblatt berichtete darüber. Immer mehr Führungskräfte erwarteten schon 2003 künftige Zusammenbrüche von Banken – das war für informierte Wirtschaftsfachleute schlicht abzusehen, allerdings in kleineren Dimensionen als heute tatsächlich eingetreten. Man blieb damals jedoch untätig. Es gab noch ein weiteres Treffen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Frühjahr 2003 mit Banken-Vertretern. Wieder sprach man hinter geschlossenen Türen über Auffanggesellschaften für faule Bankenkredite. Die damalige Bundesregierung hat die Idee dann wieder verworfen, weil die Bevölkerung nicht die Wahrheit erfahren sollte. Das hätte ja Wählerstimmen gekostet. Man dachte in Berlin, es werde schon nicht so schlimm kommen. Man wusste, dass die Spekulations- und Immobilienblasen an den Finanzmärkten eines Tages platzen würden. Es war eine reine Frage der Zeit. Und dann könnte man sich ja immer noch völlig überrascht zeigen.


Deutsche Qualitätsjournalisten berichten bislang nicht darüber, dass die Bundesregierung vor Jahren schon um die sich abzeichnenden Gefahren der vielen faulen Kredite wusste. Die Untätigkeit der Journalisten hat einen ganz einfachen Grund – vor sechs Jahren sorgte die Indiskretion über die faulen Kredite für gewaltigen Ärger und für helle Aufregung im Kanzleramt. Wer heute Informationen aus der Umgebung der Bundesregierung will, der darf es sich mit den dort Herrschenden nicht verderben. Also schauen die Journalisten lieber weg. Denn sonst bekommt man möglicherweise keine vorformulierten Presseerklärungen mehr aus Berlin. Und das wäre für deutsche Qualitätsjournalisten einfach schrecklich.


http://info.kopp-verlag.de/news/streng-geheim-europa-fehlen-derzeit-schon-185-billionen-euro-zur-bewaeltigung-der-finanzkrise.html

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