Die Tafeln
Anfang der 1990er-Jahre wurde in Berlin die erste "Tafel" gegründet, ihre Tätigkeit bestand im Einsammeln und Verteilen übrig gebliebener, nicht mehr verkäuflicher Lebensmittel für Arme nach dem amerikanischen Vorbild der "Food Banks" beziehungsweise des "Second Harvest". Was damals für Obdachlose gedacht war, wurde zu einem stetig wachsenden Versorgungssystem für eine stetig wachsende Anzahl arm gewordener Normalbürger.
Auch als Folge von Hartz IV entstanden bis heute deutschlandweit mehr als 850 Tafeln, die ein Netz von etwa 2.000 Ausgabestellen beliefern, in denen laut Schätzungen des Bundesverbandes 1 Million Bürger vorstellig werden. Die Beschaffung und Verteilung von jährlich etwa 130.000 Tonnen Lebensmitteln verlangt logistisches Management, vor allem aber das Engagement zehntausender ehrenamtlicher Helfer und 1-Euro-Jobber.
Es gibt eine Reihe bekannter und unbekannter Sponsoren aus der Geschäftswelt, ganze Schulklassen spenden jedes Wochenende von ihrem Taschengeld, Betriebe sammeln, eine Supermarktkette hat ihren Pfandflaschenautomaten einen Knopf einbauen lassen, mit dem auf Kundenwunsch der Betrag den Tafeln gutgeschrieben wird. Die Tafel ist ein sogenannter Sympathieträger mit hohem Ansehen, die aus dem Nichts eine Art Schlaraffenland hervorzaubert.
Für viele Arme ist sie nicht mehr wegzudenken. Und auch nicht für viele Lebensmittelketten, Discounter und Geschäfte. Ehedem musste bezahlt werden für die Abholung des "Biomülls".
Was ursprünglich Philanthropie war, wird unter der Parole "Essen, wo es hingehört" zur schöngefärbten Abspeisung der Armen und zur Beihilfe bei der stillschweigenden Aushöhlung des im Grundgesetz vorgegebenen Sozialstaatsgebots.
Der "Teltower Tisch" befindet sich an einem etwas heruntergekommenen Teil der Hauptstraße von Teltow/Potsdam Mittelmark. Lebensmittelausgabe ist Samstags von 14 bis 17 Uhr. Auf dem schmalen Grundstück, Potsdamer Straße 34, befindet sich im hinteren Teil ein Stück Rasen mit einem kleinen Kinderspielplatz, durch eine Hecke abgetrennt vom betonierten Hof vorn.
Dort steht ein flaches Gewerbegebäude, eineinhalb Zimmer groß, es dient als Ausgabestelle. Gegenüber hat jemand ein Holzgerüst gezimmert und mit Plastikplanen bezogen, eine Überdachung, darunter Stände und Obstkisten wie auf dem Markt. An den Pfosten hängen gelbe Schilder "Hier dürfen Sie sich selbst bedienen". Alles wirkt geordnet, säuberlich, aber recht ärmlich und beengt.
Ab 13 Uhr kommen Lieferfahrzeuge auf den Hof, darunter auch von der Potsdamer Tafel. Männer laden die Obst- und Gemüsekartons aus. Es gibt Mangold, viele Bananen, Melonen, Radieschen, Tomaten, Trauben, Zucchini, Auberginen, Möhren, Blumenkohl, viele Nektarinen, Sellerie, diverse Kräuter und so fort. Ein eingespieltes Team gestandener älterer Frauen sortiert und mustert aus.
Die Kartons und Kisten füllen sich mit gut aussehender Ware. Ein Fahrzeug bringt Brot, Brötchen und Backwaren, vorwiegend aus hellem Mehl. Alles wird hineingetragen ins Gebäude, und auch dort stehen ehrenamtliche Helferinnen bereit und füllen die Regale und Tische mit dem Angebot. Es gibt auch Bücher hier und einen Tisch mit Kinderspielzeug. Vier große Gewerbekühlschränke mit Glastüren, gespendet von einer Sparkasse, geben der Szenerie ein bisschen was von einem Geschäft.
Die Leiterin der Stelle, Schwester Ulrike Büttner von der Diakonie, schwirrt hin und her und hat ein Auge auf alles. Sie empfiehlt uns Wolfgang Leube als Gesprächspartner.
Der zögert nicht lange und bittet ins winzige Dienstzimmer. Wir erfahren, das er 1956 in Thüringen geboren ist, seit 1965 in Berlin lebt und ein richtiger Teltower geworden ist. Im Jahr 1973 machte er im VEB Teltomat seine Ausbildung zum Elektromonteur, daneben arbeitete er auf dem Friedhof Teltow. Im Jahr 1990 wurde er Friedhofsverwalter. Seit 2003 ist er ehrenamtlicher Mitarbeiter beim Teltower Tisch.
Wolfang Leube bietet uns Kaffee an und erzählt: "Neun Jahre, sag ich mal, gibts jetzt diese Institution. Früher waren es mal vier Vereine, eine Arbeitsloseninitiative, die haben sich zusammengetan im ,Kleinen Netzwerk'. Die Räume waren in der Jahnstraße, in unserer alten DDR-Sparkasse.
Und die waren viel günstiger, platzmäßig. Und auch viel diskreter als hier, wo wir ja direkt auf dem Präsentierteller sind, ohne Zaun und Tor. Hier müssen die Leute bei Wind und Wetter im Freien anstehen, allen Blicken ausgesetzt. Viele schämen sich, gesehen zu werden. Es gibt auch leider viel Gerede in Teltow. Die Jahnstraße ist dann gescheitert, aus finanziellen Gründen, wir konnten uns nicht selber tragen, da hat keine Behörde geholfen, nichts.
Und wenn unsere Frau Kuke nicht gesagt hätte, wir können hierher - das war der ehemalige Angelladen ihres Mannes -, dann hätte es die Institution nicht mehr gegeben. Dann wäre es aus gewesen. Die Ämter haben sich nicht gerührt. Im Jahr 2004 hat dann das Diakonissenhaus Teltow/Lehnin die Trägerschaft übernommen.
Inzwischen geht es uns wieder ganz gut. Wir versorgen hier drei Orte: Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf. Es kommen momentan 38 Familien mit zwei, vier, fünf oder auch zehn Kindern, und 80 Einzelpersonen. Da hängen also ein paar hundert Leute dran. In den letzten Wochen und Monaten kamen neue Leute dazu.
Wir haben auch immer etwa 15 bis 20, ob nun Rentner oder Invaliden, die keine Marken haben, die ,nicht berechtigt' sind. Die kommen aber trotzdem und bekommen auch, was eben noch da ist. Es wird niemand weggeschickt. Wir haben Marken, die werden von den Berechtigten in so einer Art Lossystem gezogen jede Woche, damit es gerecht zugeht und keiner sich benachteiligt fühlt. Die Familien kommen immer zuerst. Aber wir haben jetzt immer genug da, es bekommt also der Erste genug, und auch der Letzte kommt nicht zu kurz.
Genug für alle
Wir hatten zwei Jahre lang einen Engpass bezüglich der Ware, da bin ich dann immer rumgefahren zu den Geschäften, um die Reste zu bekommen für die Leute, aber weil wir nicht als ,Tafel' anerkannt waren, haben wir nicht viel bekommen. Es gab dann auch Meinungsverschiedenheiten mit der Potsdamer Tafel. Doch jetzt werden wir von der Tafel beliefert, das ist ein Probelauf für ein halbes Jahr, und die Lage hat sich entschärft, es ist genug da. Also die Nummer ist eigentlich nicht mehr ausschlaggebend, aber wir behalten sie bei.
Ganz wichtig ist zu sagen, dass viele Rentner kommen, die ja oft mit nur 10 Euro über dem Limit liegen, also keinen Sozialausweis kriegen. Denen geht es oft schlechter als den Hartz-IV-Empfängern. Teltow und Stahnsdorf als Gemeinden, die stellen Sozialausweise aus, das heißt, die bearbeiten das dort, die urteilen nach den Papieren, was ich persönlich ja schön finde, aber ich möchte nicht beurteilen, wer bedürftig ist und wer nicht. Kleinmachnow stellt keine Karten aus.
In Kleinmachnow wohnen die Reichen, die Schauspieler, da gibt es keine Bedürftigen, anscheinend. Die kommen aber trotzdem bei uns rein, haben ihre Hartz-IV-Bescheinigungen und bekommen selbstverständlich was, wie jeder. Jedenfalls, wir geben den ,Abholern' - wir sagen ,Abholer' und nicht ,Kunden' wie die anderen, denn wir geben hier die Lebensmittel kostenlos weiter - denen geben wir so viel, wie da ist am liebsten.
Am Schluss muss hier alles raus, denn wir haben keine Lagermöglichkeit, außer den Kühlschränken. Und da drin wirds ja auch nicht frischer! Wir haben ein, zwei Leute, die Schweine haben, wo wir dann, bevor wirs wegschmeißen, denen Bananen geben, kistenweise, und Brot und Brötchen.
Abfall ist ein Problem, die Biotonnen sind schnell voll, und wir müssen aufpassen, dass keine Ratten kommen, denn da ist ja gleich der Kindergfarten in der Nachbarschaft. Fleisch und Wurst kriegen wir immer relativ wenig, also da bleibt nichts an Aball. Wir haben ein Ehepaar, die holen sich, wenn alles verteilt ist, die Reste an Obst.
Erdbeeren waren gerade viele da. Die machen daraus für die Leute Marmelade, und die Zutaten werden gegen Rechnung von uns hier bezahlt. Ist schön, so was! Und die Holzkisten holt der Siggi sich, der hat Ofenheizung und macht sie klein für den Winter. Wir versuchen, so viel wie möglich zu verwerten, denn das tut einem ja leid, es einfach wegzuwerfen!
Wir versuchen, es hier so gemütlich und schön zu machen, wie es mit unseren Mitteln geht. Aber wir sind zu beengt, die Leute können sich nicht mal irgendwohin setzen. Nur wenn der christliche Verein aus der Ruhlsdorfer Straße kommt - die machen alle 14 Tage ein Grillfest hier -, da stehen dann Bänke, aber ansonsten … Und im Winter findet die Ausgabe hier drinnen statt. Die Abholer stehen dann dicht gedrängt, aber irgendwie muss es gehen. Andere Räume bekommen wir einfach nicht.
Kein Geld für den Bus
Hier haben wir wenigstens einen Halbjahresvertrag, der sich jeweils verlängert, auf Widerruf. Die Diakonie würde uns vielleicht sogar Räume geben, aber das wäre für viele Abholer einfach zu weit. Viele gehen mit den Beuteln ja zu Fuß nach Hause, weil mit dem Bus fahren, das kostet ne Menge, das ist bei 359 Euro zum Leben und allem einfach nicht drin. Aber trotz allem, die Leute kommen gern hierher. Die Kinder sind auch gern da, spielen ein bisschen und kriegen was zum naschen.
Es ist ja auch die Geselligkeit wichtig für den Menschen, manchmal lebenswichtig. Wir haben einen Behinderten, Rollstuhlfahrer, er hat keine Beine mehr, jetzt hat er auch noch seine Frau verloren, der sagt, ich bin froh, dass ich immer ein paar Leute treffe und quatschen kann.
Man sieht es ja auch, dass die Leute hier viel miteinander reden. Sie tauschen sich aus beim Warten, manchmal tauschen sie auch Kochrezepte, da höre ich gern zu. Eine fragt, was machst du eigentlich mit dem und dem? Und der oder die erzählt, was sie kocht, und das macht dann die Runde.
Ich weiß, dass sich dadurch nichts ändert an den Ursachen. Ist klar. Aber trotzdem, es ist wichtig für die Leute, dass wir das hier zusammenmachen jeden Samstag. Und ich sage Ihnen, ich sehe mich bei der ganzen Geschichte nicht als den, der hinter diesem Ausgabetisch steht, ich sehe mich auch als denjenigen, der davor steht.
Wir bedanken uns für das Gespräch. Während Elisabeth den leicht verlegenen Herrn Leube fotografiert, gehe ich hinaus und mische mich unter die Wartenden. Der Hof ist voll mit plaudernden Menschen, die in Grüppchen wartend beieinanderstehen. Dann werden Nummern aufgerufen, die Betreffenden treten mit ihren Taschen und Beuteln zu den Ständen.
Ich spreche eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern an, stelle mich vor und frage, ob ich sie begleiten darf bei ihrem Rundgang. Sie nickt unbefangen und erzählt, dass sie Hartz IV bekommt, ihr Mann arbeitet halbtags und macht eine Ausbildung zum Altenpfleger. Sie öffnet ihren Einkaufstrolly, nimmt, was sie braucht von den freundlichen Ehrenamtlichen. "Ja, Nektarinen sind sehr gut", sagt sie, "die kann man nämlich liegen lassen, bis sie reif sind. Einige von den Honigmelonen auch, bitte."
Sie verstaut diverse Gemüse und Salat, trifft ihre Wahl wohlüberlegt. Auch die Kinder dürfen mit entscheiden. Sie sagt. "Ich bin jetzt seit vier Wochen dabei, meine Mutter auch, und ich muss sagen, ich bin superzufrieden. Wir leben seitdem sehr gesund. Gesünder als vorher und auch sehr abwechslungsreich. Das ist ja alles sehr wichtig, wenn man Kinder hat, die möchten ja auch zugucken, wie die Mutter kocht.
Denn es ist doch so, dass man vom Geld, das man kriegt, nicht das richtige Essen kaufen kann. Ich sag mal so: Es reicht zwar hin, um eine Familie mit drei Kindern zu ernähren, was wir an Geld bekommen, aber eben mit viel Dose und Nudeln wenig Frisches. Für frische Sachen reicht es einfach nicht." Inzwischen wurde auch die Markennummer der Oma aufgerufen, sie verstaut ihre Waren und gesellt sich zu uns. "Na, heute ist ne Menge da!" Die Tochter sagt: "Ja, es ist richtig gute Ware dabei, echt super, ich muss sagen, es war jedes Mal so." - "Die Kinder können frisches Obst und Gemüse essen", sagt die Oma, "ganz anders als früher."
Die Mutter nickt und sagt: "Ich bin über meinen Schatten gesprungen. Hatte gehört von dieser Stelle, aber ich dachte immer, ne, so nötig haben wirs nicht! Aber ich war richtig blöd. Wäre ich doch nur schon früher gekommen." - "Ja", fügt die Oma hinzu, "es wird ja sonst alles nur weggeschmissen in den Läden." Wir gehen ins Gebäude. Dort bekommen die beiden Frauen Brot, Brötchen, Hefeklöße und Milchprodukte. Die Palette des Angebots ist groß: Bioquark, Biomilch, Frischkäse, mehrere Sorten französischer Ziegenkäse liegen bereit, Joghurt in Mengen, Butter, Eier, Aufschnitt.
Sogar echte Crevetten und künstliches Krebsfleisch sind im Angebot für den, der es mag. Die Kinder stehen vor dem Kindertisch und singen im Duett: Wir möchten ein Mal…buch, ein Mal…buch…" Und sie bekommen ein Malbuch von Frau Kuke. "Für ein Lächeln", sagt sie, "es kostet nur ein Lächeln." Der kleine Junge bekommt auch noch einen Plastiklöwen mit beweglichen Beinen geschenkt, und als ich ihn nach zehn Minuten draußen wiedertreffe, lächelt er noch immer.
Ich treffe auf die kleine Gruppe ohne Marken. Sie warten geduldig. Eine ältere Frau sagt: Wenn man keine Nummer hat, dann muss man halt ausharren bis zum Schluss, aber sogar dann, wenn man drankommt, ist noch genug da. Genug für alle, da hat keiner das Nachsehen." - "Ne", sagt eine Rentnerin, "vor ner Weile wars noch ganz anders, da brauchte man ja gar nicht mehr herkommen. Jetzt haben sie in Hülle und Fülle. Man kann nicht meckern. Nur Fleisch ist immer wenig. Aber es geht auch ohne. Ne, ich muss schon sagen, ist gut hier, und die Mitarbeiter sind richtig freundlich und hilfsbereit."
"Gleich geht es los, ich sehe ihn schon", sagt ein Mann mit Brille. Aber die Rentnerin schaut auf ihre Uhr und sagt: "Ne … noch fünf Minuten. Na, ich freu mich schon auf die Paprikaschoten und alles. Das ist ja immer sehr gut noch, das Obst und Gemüse. Ein dünner Mann, der bisher geschwiegen hat, ist anderer Meinung: "Ich sehe das nicht so!
Das sind alles alte, abgelaufene, überlagerte Sachen, die sie im Geschäft gar nicht mehr bis Montag aufheben können. Das wird ziemlich schnell schimmlig oder schlecht, gerade das Gemüse. Und wenns mal angegangen ist, dann ist es angegangen. Sicher, man kanns wegschneiden, aber der Schimmel ist überall. Es ist gefährlich, den Schimmel mitzuessen!"
Die Runde schweigt und macht abweisende Gesichter. Nur die Rentnerin erklärt unbeeindruckt: "Also, ich habe noch keinen Schimmel gefunden. Man muss es ja nicht aufheben tagelang. Ich wasche die Sachen gut ab und koch mir einen schönen Eintopf für die ganze Woche. Dann habe ich auch gleich was, wenn die Enkel kommen."
McKinsey und die Tafeln
Nicht von ungefähr steht die berüchtigte Berater- und Rationalisierungsfirma McKinsey dem Bundesverband der Tafeln seit vielen Jahren zur Seite (ebenso den Tafeln in Österreich, der Schweiz, Kanada usw.). McKinsey war unter anderen beteiligt am Konzept von Hartz IV, an der Arbeitsweise der ARGEn und an der “Reform” der Sozialversicherung.
Vollkommen gratis hat der teure McKinsey für den Bundesverband einen Leitfaden und ein Handbuch für Aufbau und Betrieb einer Tafel verfasst, bindende Lektüre für jedes seiner Mitglieder.
Es gibt auch handfeste Gründe, das sich so viele große Konzerne so fleißig an den Tafeln beteiligen:
Die Tafel ist ein sogenannter Sympathieträger mit hohem Ansehen, die aus dem Nichts eine Art Schlaraffenland hervorzaubert.
Für viele Arme ist sie nicht mehr wegzudenken. Und auch nicht für viele Lebensmittelketten, Discounter und Geschäfte. Ehedem musste bezahlt werden für die Abholung des “Biomülls” – aus dem die Entsorgerfirmen eine Gärsubstanz herstellen, die sie an Biogasunternehmen weiterverkaufen, und die wiederum gewinnen aus 8.000 Tonnen Lebensmitteln ungefähr 3.000 Megawatt sauberen Strom.
Nun erspart die Entsorgung über die Tafeln nicht nur die Kosten, es gibt auch noch gratis eine Imagewerbung mit dazu. Und die steuerliche Abschreibung der Spende.
Biomüll, der früher teuer entsorgt werden mußte, wird heute gratis von den zweibeinigen Mülltonnen entsorgt, die der Staat per Gesetz der Industrie zur Verfügung stellt … so jedenfalls würde ich das formulieren. Ich muss ja auch nicht schauen, ob ich eventuell die Märkte oder die Merkel verunsichere.
Ich darf auch ganz deutlich sagen, das das die Arbeit der Tafeln ist: nicht “Armut lindern” (was auch Sache des Staates wäre), sondern Abfall entsorgen. Und das findet man auch – so eine weitere Zeugin, die nicht genannt werden möchte – im Sprachgebrauch der Tafeln wieder.
Wie nennen die ihre Kunden?
Abholer.
Diese Zeugin (selbst Unternehmerin) kann ich wenigstens zitieren:
Ich denke die anonyme Nennung ist in Ordnung. Auch meinerseits, wenn die Bezeichnung „Abholer“ für Besucher der Tafel erwähnt werden soll.
Als demütigend empfand jene Tafelbesucherin übrigens, dass man einen Teil der Besucher auswählte, die in einem Vorraum warten durften, während man die restlichen Menschen einfach mal eben auf die Straße setzte, bis man beschied, dass jetzt wiederum ein Teil im Vorraum warten darf. Ich habe mir vor Ort noch kein Bild machen können und ich weiß nicht einmal, ob sie mich reinlassen würden. Es ist schon mehr als merkwürdig und an diesem Abend mit einem Gespräch zwischen ehrenamtlicher Mitarbeiterin und ehemaliger Tafelbesucherin für mich glaubwürdig erfasst, dass es bei den Tafeln leider für die Menschen auch nicht so zugeht, dass sie sich nicht noch mehr gedemütigt fühlen, als durch ihre Lebensumstände eh schon geschehen.
Für mich selbst – aus meiner Sicht – sind scheinbar alle für mich wichtigen ideellen / moralischen Werte in dieser Gesellschaft abhanden gekommen. So altmodische Dinge wie Respekt vor anderen Menschen, gegenseitige Achtung, Hilfsbereitschaft / Nächstenliebe, Kulanz und alles was es uns ermöglicht uns als Gemeinschaft wahrzunehmen, die füreinander einsteht.
Auch bei der Tafel: der Abholer ist der Feind, der Untermensch, der letzte Dreck.
Praktiziert Tag für Tag von Jobcentern und Tafeln in allen Städten Deutschlands: ein komplettes Netz der Enwürdigung, Demoralisierung, Erniedrigung und vor allem: der Vernichtung von Arbeitskraft. Solcherart “behandelte” Menschen dürften nach einiger Zeit derartig deformiert sein, das sie als Arbeitskraft nie wieder zu verwerten sind.
Über den Wert der Tafeln für die Industrie hat übrigens auch mal FAZfinance.net berichtet:
Die Spendenquittungen bringen den Unternehmen aber vor allem finanzielle Vorteile: Nahrungsspenden werden stets mit einem Lieferschein geliefert – so verlangt es die Europäische Union. Denn Lebensmittellieferungen müssen lückenlos überprüfbar sein. Auf Lieferscheinen steht auch der Warenwert. Das heißt: Wer zehn Paletten Äpfel liefert, bekommt eine Spendenquittung über den Wert der zehn Paletten – selbst wenn davon vielleicht nur noch wenige genießbar sind.
Und … das wir bitte hier nichts falsch verstehen: der Müll wird bewußt herausgegeben. Ist es mal kein Müll, dann hat das für den entsprechenden Mitarbeiter ganz schnell Konsequenzen:
Außerdem stellen die Tafeln Spendenquittungen für die Unternehmen aus. Das hatte für manchen Einzelhändler auch schon unbeabsichtigte Konsequenzen: Ein Supermarkt in Berlin hatte im Laufe von drei Monaten immer wieder Waren im Wert von 168.000 Euro abgegeben – stets fünf Tage vor dem Verfallsdatum der Ware. Nachdem die Konzernleitung die Spendenquittungen sichtete, wurden die für die “überflüssigen Lieferungen” verantwortlichen Manager wegen der offensichtlichen Verschwendung schnell ausgewechselt.
Bitte nur eindeutigen Müll spenden – sonst droht gleich Hartz IV und man wird “Feind”.
Das ist Alltag in Deutschland.
42 Millionen Menschen sind zum Feind geworden, zum Ballast, den man am liebsten entsorgen würde wie den Müll der Konzerne.
Nur gibt es für diesen Ballast keine Abholer.
Noch nicht.
Wir haben Krieg – mitten in Deutschland. Bürgerkrieg: einen völlig absurden Krieg, der von unfähigen Politikern gegen Arbeitslose geführt wird, weil sie im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit selbst völlig versagen … was politisch jenseits des Atlantiks gern gesehen wird, weil es einen äußerst lästigen wirtschaftlichen Konkurrenten eliminiert.
Immerhin wurde so eine Marke erledigt, die früher einmal unseren Wohlstand garantierte: mit “Made in Germany” hätten wir allen Krisen trotzen können, Qualität setzt sich eben durch.
Aber … “Made in Germany” ist heute nur noch “Jobcenter” und “Tafel” – und selbst die kommen von McKinsey.
Was aber noch schlimmer ist, ist die erkennbare Kultur der Angst, die dieses Land inzwischen durchzieht.
Und niemand traut sich mehr offen darüber zu reden … weil die Angst, die Bedrohung äußerst real ist.
Wir reden nur nicht mehr darüber, sondern sitzen zitternd vor den Bildschirmen und hoffen, das es uns nicht trifft.
Soweit sind wir schon wieder … aber auch darüber schweigen wir lieber, oder?
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